Die Angst vor der Maus

Florian Zeyfang
11.05.2001
Keine Netzkunst bei der Berlinbiennale, aber auch Ablehnung des Kunstmarktes bei den Netzkünstlern
Trotz einer Unzahl von Monitoren und Projektoren
finden sich auf der 2. Berlinbiennale keine künstlerischen Arbeiten, die
als Internetkunst bezeichnet werden könnten. Das ist zunächst kein grundsätzlicher
Fehler, schließlich arbeiten auch andere Ausstellungen mit dem Ausschluss
bestimmter künstlerischer Disziplinen, wenn sie sich nicht gleich qua Titel
nur einem einzigen Medium widmen. Angesichts des zeitgenössischen Appeals
der Biennale wollten es jedoch die Organisatoren des Panels "net.media.virtual.digital.art",
das am 6.Mai als eine der Rahmenveranstaltungen zur Berlinbiennale stattfand,
nicht auf sich beruhen lassen und luden zum Gespräch. Moderator Tilman Baumgärtel, Lesern dieses Magazins kein Unbekannter, sowie als Autor des Buches
"net.art"
für diese Aufgabe qualifiziert, zitierte vor ungefähr 40 Zuschauern zu Beginn
die bb2-Kuratorin Saskia Bos: Die habe sich in diversen Interviews von einem
Einbezug der Internetkunst distanziert, da sie sich in ihrer Ausstellung
keine Schlangen wünsche, die sich vor hässlichen Bildschirmen bilden könnten.
Nun haben einerseits Museen und andere Institutionen auch schon wesentlich
weniger Berührungsangst gezeigt, wenn es um die Interaktion mit der Maus
ging. Andererseits kommen, Bos´ Vorbehalte quasi stützend, auch aus dem Lager
der sogenannten Netzkunst immer wieder Einwände gegen musealisierte oder
galerisierte Präsentationen: Netzkunst könne per Definition nicht ausserhalb
des Netzes stattfinden; müsse es auch gar nicht, da das Netz eine komplette
Umwelt darstelle, auf die sich eben jene Kunst beziehe.
Zu diesen grundsätzlichen Fragen sollten die fünf Eingeladenen Stellung
nehmen. Die meisten taten dies durch Präsentationen ihrer Arbeit, die in
unterschiedlicher Weise mit Kunstproduktion in und um das Internet und digitalen
Medien zu tun hat. Der letztgenannte Einwand, net.art habe im Realraum nichts
zu suchen, wurde dabei von der Theoretikerin Josephine Bosma unterstützt.
Bosma legt großen Wert auf eine Autonomie von der Kunstwelt, ihren Märkten
und ihrer sozialen Dynamik; sie vermisst eher ein Forum innerhalb des Netzes
und hat zum Austausch unter den Beteiligten einen neuen Newsletter namens
"Cream" ins Leben
gerufen:
Hier wird Netzkunstkritik veröffentlicht. Es sollen allerdings dort zunächst
nur ausgewiesene KritikerInnen schreiben, um die in kleinen sozialen Gemeinden
ubiquitären inzestuösen Gefahren zu vermeiden. Zu oft, meint Bosma, sind
die Kritiker die Kollegen der Künstler/innen. Man könnte dies als nächsten
Schritt nach der "New-Frontier"- Zeit des Internet interpretieren - nach
dem gleichmacherischen Vorwärtsstreben kommt die Ausdifferenzierung - jedoch
als Grundsatz ist es eigentlich nicht zeitgemäß. Dennoch eine richtungweisende
Initiative hinsichtlich einer exakteren Analyse des kulturellen Begehrens
im Netz.
Diesem Begehren möchte Annette Schindler als Gründungsdirektorin des neuen Basler Instituts
[plug in]
einen Raum geben. [plug in] versteht sich dazu als Pilotprojekt und Vermittlerin
zwischen den Welten, möchte "verschiedene Gefäße" anbieten: Im Internet genauso
wie im Basler St.Alban-Rheinweg 64; als Produzentin von Produktionen genauso
wie als Bar; in Form einer Software oder als jährlich neu zu gestaltender
Raum. [plug in] richtet sich dabei ganz offen an BesucherInnen, die die ersten
Kontakte mit der digitalen Welt bereits hinter sich haben: Das breite Publikum
ist zwar durchaus willkommen, man möchte aber auf einen didaktischen Auftrag
verzichten und kann auch keine Medienweiterbildung anbieten. Schluss mit
Access For All? Keineswegs, sondern hier soll an der Medienkunst weitergearbeitet
anstatt reproduziert werden, und dabei wird in Kauf genommen, was in der
sogenannten Realwelt gang und gäbe ist: dass Kunst zunächst ein Spezialdiskurs
ist. Projekte wie [plug in], die im Experiment eine Entwicklung neuer Raum-Ideen
versuchen, sind dabei im positivsten Sinne die Wegbereiter zu allgemeinerer
Verständlichkeit. Alle Beteiligten unterstützen dabei den grundsätzlich freien Zugang
zu Internet und Kunst. Mieke Gerritzen hat dem in ihrem Video "The Free Movie"
noch einmal besonders Ausdruck gegeben. Gerritzen arbeitet unverkennbar mit
Textdesign; diese Arbeit spiegelt sich wieder in ihrer Eigenschaft als Organisatorin
der Veranstaltung "International Browser Day" (und deutlich in deren Homepage),
die 2001 zum 5. Mal im Dezember in der Berliner Volksbühne stattfindet. Browser
sind ebenfalls Vermittler zwischen Nutzer und Netz, und ihre Entwicklung
sollte man nicht den Konzernen überlassen, findet Gerritzen. Ähnlich eigen-initiativ
zeigte sich die Arbeit von Tomoko Takahashi "Word Perhect", die von Sue Jones, Co-Direktorin der Plattform "e-2", präsentiert wurde.
Holger Friese, dem anwesenden Netzkünstler, blieb es überlassen,
sich zur Vermarktung der Kunst Gedanken zu machen: Dass KünstlerInnen in
der neuen Welt nicht ohne etwas dastehen wollen, darin ist sich Friese mit
einem Vorgänger, dem Konzeptkünstler Seth Siegelaub, einig. Auf dessen berühmtem
Modellvertrag,"the artist's reserved rights transfer and sale agreement",
der unter anderem 1972 auf der documenta gezeigt wurde, basiert Frieses und
Max Kossatz´ Abmachung
mit einem Stuttgarter Sammler: Dem wird zwar die URL eines Werkes der beiden
für einen nicht genannten Betrag übertragen, dennoch bleibt das Netz-Werk
weiterhin frei verfügbar. Friese/Kossatz möchten gerne mit ihrem Vertragswerk
genauso Geschichte schreiben wie Siegelaub, und haben seinen Vertrag deswegen
gleich unten angehängt.
Dessen Berühmtheit konnotiert jedoch etwas Sysiphoshaftes, denn immer noch
werden die meisten Abmachungen zwischen Künstlern und Galeristen per Handschlag
gemacht. Und Siegelaubs Vorschlag, die KünstlerInnen an der Wertsteigerung
ihres Produkts teilhaben zu lassen, wird wohl auch nach der Umsetzung in
deutsches Recht letztes Jahr Makulatur bleiben. Aber es gibt ja noch andere
Arten, Netzkunst zu vermarkten.Die Reihe FORMATE DER LÜGE, das Rahmenprogramm zur 2. berlin biennale, wird fortgesetzt:
29.4. Real-Fiktionen / Real Fictions 6.5. net.media.virtual.digital.art 13.5. Post-National 20.5. Reycling des Konzeptuellen / Recycling the Conceptual 27.5. Digital Vérité 3.6. Corporate Art 10.6. Keep your country tidy 17.6. Curatorial Business
jeweils Sonntags 14.00-16.00 Uhr, Kunst-Werke Berlin , Auguststr. 69 oder Kino Central, Rosenthaler Str. 39 (2. Hinterhof)
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